The Florida Project ist ein erfrischender Film, der beeindruckend die bedrückende Realität in Motels zeigt: Familien, die nicht wirklich obdachlos sind, aber auch nicht in der finanziellen Lage, ein dauerhaftes Dach über dem Kopf zu gewährleisten. Der Film wird – und das macht ihn für mich so einzigartig – aus der Perspektive der Kinder gezeigt, für die dieses Leben Alltag ist. In The Florida Project gibt keine Vom-Saulus-zum-Paulus-Geschichte, keinen Heldennarrativ, keine Romantisierung der Armut – sondern Alltag, der oft trist erscheint (aber dennoch in einer atemberaubenden Ästhetik auf 35mm-Film und durch die Augen der Kinder dargestellt wird), den täglichen Struggle der Charaktere und immer wieder kleine Gesten, die viel stärker wirken als große moralische Reden.
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Callahan
Eine ähnliche Begebenheit wie vor sieben Jahren mit Nick Cave hatte ich vergangenes Wochenende mit Bill Callahan, der sich früher Smog nannte. Nachdem ich ihn erstmals entdeckte, habe ich mir direkt einige Alben gekauft–gekauft, da Bills Label Drag City seine Musik nicht auf Streamingdiensten zur Verfügung stellt–und höre diesen großartigen Poeten seitdem auf Repeat. Neben dem oben verlinkten Artikel gibt es noch eine weitere schöne Einführung in seine Diskographie. You’re welcome.
Seethaler. ›Ein Ganzes Leben‹.
Ginge es nach ihm, würde er für den Rest seines Lebens an irgendeinem Wegrand sitzen, Hand in Hand mit Marie, an einem harzigen Baumstamm gelehnt.
Es sind einfach schöne und klingende und schönklingende Worte, die der österreichische Schriftsteller Robert Seethaler in ›Ein Ganzes Leben‹ zu feinen Sätzen aneinander reiht. Genau darin liegt für mich die Magie des Buches: in seiner wunderbaren Sprache. Doch auch der Inhalt, die im Titel bereits angedeutete Lebensgeschichte, hat es in sich.
Egger kam wieder zu Kräften. Allerdings blieb sein Bein krumm, und fortan musste er sich hinkend durchs Leben bewegen. Es war, als ob sein rechtes Bein immer einen Augenblick länger brauchte als der restliche Körper, als ob es sich vor jedem einzelnen Schritt erst besinnen müsste, ob er eine derartige Anstrengung überhaupt wert wäre.
Wie Seethaler poetisch von Andreas Egger und dem Tal schreibt, in das Egger mit ungefähr vier Jahren purzelte, sucht seinesgleichen. Der Autor erzählt anekdotisch die Geschichte eines Mannes, der trotz vieler Rückschläge ohne Missmut und mit einer gehörigen Portion Hoffnung durchs Leben geht.
Meistens schwieg Egger während seiner Touren. »Wem das Maul aufgeht, dem gehen die Ohren zu, hatte Thomas Mattl immer gesagt, und Egger teilte diese Ansicht. Statt zu reden, hörte er lieber den Leuten zu, deren atemloses Geplapper ihn in die Geheimnisse fremder Schicksale und Ansichten einführte. Offenbar suchten die Menschen in den Bergen etwas, von dem sie glaubten, es irgendwann vor langer Zeit verloren zu haben. Er kam nie dahinter, um was es sich dabei genau handelte, doch wurde er sich mit den Jahren immer sicherer dass die Touristen im Grunde genommen weniger ihm als irgendeiner unbekannten, unstillbaren Sehnsucht hinterherstolperten.
›Ein Ganzes Leben‹ ist empfehlenswert für denjenigen, der nicht nach der großen Action auf jeder Seite sucht, sondern im Kleinen, nur Angedeuteten, viel entdecken möchte.
Die alte Frau saß alleine an ihrem Tisch. Sie hatte die Ellbogen aufgestützt und das Gesicht in den Händen verborgen. Vor ihr stand der große Radiokasten, aus dem sonst um diese Zeit entweder Blechmusik oder Adolf Hitlers aufgebrachte Redeschwälle tönten. Diesmal war das Radio aus und Egger hörte das leise Schnaufen der Alten, die in ihre Hände hineinatmete. »Ist Ihnen nicht gut?« fragte er. Die Wirtin hob den Kopf und sah ihn an. In ihrem Gesicht waren die Abdrücke ihrer Finger zu sehen, blasse Streifen, die sich nur langsam wieder mit Blut füllten. »Wir haben Krieg«, sagte sie. »Wer behauptet das?«, fragte Egger. »Na, das Radio«, sagte die Alte und warf dem Kasten einen feindseligen Blick zu.
Eine schöne Rezension, in der sie auch auf den Inhalt des Buches eingeht, hat Olivia geschrieben.
Der Bürgermeister war nun kein Nazi mehr, statt Hakenkreuzfähnchen hingen wieder Geranien vor den Fenstern und auch sonst hatte sich viel verändert im Dorf.
Hand Cannot Erase
Steven Wilson ist mir schon länger ein Begriff, ich kenne seine Bands Porcupine Tree und Blackfield, aber auch seine Soloprojekte. Doch Hand. Cannot. Erate., das mittlerweile schon ein Jahr alte Solo-Album, kannte ich noch nicht. Bis am Freitag dann ein Arbeitskollege einen Song daraus anspielte und ich fasziniert war.
Durch die Sterne die eigene Bedeutung im Universum verstehen.
Ich lese derzeit das Buch Religion for Atheists von Alain de Botton, in dem es darum geht, was säkulare, atheistische Gesellschaften von Religionen lernen können. Konkret: Welche Strukturen oder Elemente sind Religionen zu eigen, die auch über sie hinaus für die Gesellschaft relevant sein können, etwa der Umgang mit Trauer, das Verhältnis zur Kunst oder Gastfreundschaft.
In De Bottons Buch gefiel mir eine Passage besonders, in der die eigene Bedeutung im Universum erläutert wird. In einer Zeit, in der Gott als Erklärung weggebrochen ist, beschreibt er diese neue Perspektive wie folgt:
»When God is dead, human beings – much to their detriment – are at risk of taking psychological centre stage. They imagine themselves to be commanders of their own destinies, they trample upon nature, forget the rhythms of the earth, deny death and shy away from valuing and honouring all that slips through their grasp, until at last they must collide catastrophically with the sharp edges of reality.
[..]
The secular world is lacking an equivalent cycle of moments during which we, too, might be prodded to imaginatively step out of the earthly city and recalibrate our lives according to a larger and more cosmic set of measurements. If such a process of re-evaluation offers any common point of access open to both atheists and believers, it may be via an element in nature which is mentioned in both the Book of Job and Spinoza’s Ethics: the stars.
[..]
Myopically, the scientific authorities who are officially in charge of interpreting the stars for the rest of us seem rarely to recognize the therapeutic import of their subject matter.«
So schwer der Gedanke auch sein mag, oft hilft es und ist befreiend, sich seiner eigenen – verschwindend geringen – Bedeutung im Universum bewusst zu sein. Es kann, wie De Botton richtig schreibt, eine therapeutische Kraft haben. Doch Atheisten, die sich nicht an einen ‘Allwissenden’ wenden können, benötigen andere, säkulare Situationen oder Anlässe bei, in denen sie diese Gedanken zulassen dürfen. Dafür setzt sich De Botton ins einem Buch ein.
Das Vasamuseum in Stockholm.
Nachdem ich vor einigen Wochen über die Aufgaben eines guten Museums schrieb und die Gründe dafür, dass ich finde, eine fotografische Auseinandersetzung mit dem Gezeigten muss dazu gehören, möchte ich heute etwas ins Detail gehen und an einem konkreten Beispiel zeigen, wie für mich großartige Museen aufgebaut sein können.
Triumph Of The Nerds.
In ‘Triumph Of The Nerds‘ erzählt Robert X. Cringely die Geschichte, wie aus einer Handvoll Computer-Nerds reiche Männer wurden und wie ihre Innovationen die Welt veränderten. In knapp drei Stunden zeigt die Dokumentationsreihe eindrucksvoll die Geschichte des Personal Computers.
Buddhismus.
Der Buddhismus hat mich, jedenfalls auf einer abstrakten Art und Weise, schon fasziniert, bevor ich meine Hände an das Buch »What the Buddha taught« des sri-lankanischen Intellektuellen Walpola Rahula bekommen habe.
Twin Peaks.
Eigentlich kann man über Twin Peaks gar nichts schreiben. Nicht, weil darüber bereits alles gesagt worden ist (auch, wenn das vermutlich zutrifft), sondern weil man selbst gar nicht weiß, was man überhaupt sagen könnte.