Essay, Web3

Web3 wird der Wettbewerb der Frontends

~2008 war ich fest vom aufkommenden Web 2.0 und seinen Versprechungen eines offeneren, partizipativeren und gleicheren Web überzeugt. Begriffe wie Prosument (read-write) – statt der reine Konsument (read) wie noch im Web 1.0 – wurden geboren und es war vom “Mitmach-Internet” bzw. interoperablen Web (durch selbstgehostete Blogs und Technologien wie RSS, Microformats und APIs) die Rede.

Doch es kam bekanntermaßen anders. Im jetzt entstehenden Web3 sehe ich einige Parallelen zur Anfangszeit und der Aufbruchstimmung damals. Doch auch wesentliche Unterschiede.

Den Träumen und Ambitionen aus 2008 folgte schnell Ernüchterung als sichtbar wurde, dass Nutzer:innen die Convenience von kuratierten, semi-moderierten Orten bevorzugten (Walled Gardens). Statt größtmögliche Offenheit, Protokolle und Autonomie wurden Netzwerkeffekte, Lock-In und (durch Kontrolle erst in der Form monetarisierbare) Ökosysteme die Erfolgsfaktoren bzw. -geschichten dieser Zeit.

Die drei Phasen des Web 2.0

Dabei lassen sich aus meiner Sicht drei Phasen der Entwicklung dahin identifizieren:

  1. Offenheit: Die ersten Experimente entstehen, darunter viele Technologien und Projekte, die miteinander verbunden sind und durch offene Protokolle untereinander teilweise eine gewisse Interoperablität haben; Beispiele sind etwa selbstgehostete Blogs und Standards (wie RSS)
  2. Semi-Geschlossenheit: Die erste Kommerzialisierung beginnt, abgekapselte Systeme mit kontrollierten Frontends und verschlossenen Backends (d.h. traditionelle Datenbanken) gewinnen durch Nutzerfreundlichkeit & neue Möglichkeiten der Monetarisierung für die Anbieter (über Abonnements oder personalisierte Werbung); Beispiele sind Instagram oder Facebook
  3. Walled Gardens: Die großen Plattformen öffnen sich und ihre user base gegen eine (de-facto) Gebühr für Drittparteien, das Infrastruktur-Layer wird somit proprietär und sie kontrollieren durch ein enges Gerüst an Regeln ihr Ökosystem, zu dem nur ausgewählte Drittparteien zugelassen und auf deren goodwill diese angewiesen sind; Beispiele sind die App Stores von Apple oder Google

Ein plakatives Beispiel eines Unternehmens, das in dieser Zeit einen Shift von Phase 1 auf Phase 2 durchgeführt hat, ist Twitter: frontendagnostisch gestartet wurde nach und nach die Offenheit zugunsten eines geschlossenen Systems – und damit der Möglichkeit, über einen Ansatz wie in Phase 2 oder 3 zu monetisieren – aufgegeben.

Web3 ist inhärent anders

Was also ist im Web3 anders? Wieso sollte sich diese Entwicklung nicht wiederholen? Der wesentliche Unterschied ist die andere technische bzw. Infrastruktur-Grundvoraussetzung, die eine Zentralisierung erschwert. Denn Blockchains sind Multiclient-Datenbanken, bei denen jede:r Nutzer:in ein root user ist (hat tip to Balaji). Das bedeutet: “Any user with an internet connection can read. [..] That’s what a public blockchain means: every user is a root user.”

Multiclient lässt sich auch noch anders ausdrücken: während es für Nutzer:innen unterschiedliche Clients gibt (Frontend), können alle als root user Transaktionen auf die Blockchain (Backend) schreiben.

Diese Infrastruktur ist somit per Definition interoperabel. Die rationalen Vorteile aller beteiligten Akteure, weiter auf diese offenen Standards zu setzen, die so sehr verwoben sind mit der gesamten Infrastruktur (fabric) des Web3, macht es schwerer vorstellbar, dass eine ähnliche Entwicklung wie damals im Web 2.0 eintreten wird. Nicht um die besten Backends oder geschlossenen Systeme, sondern um die besten Frontends wird ein Wettbewerb entstehen1.

Wie Chris Dixon schreibt, ist die Frage von Zentralität vs. Dezentralität noch offen & hängt auch von einer neuen Generation an Entwickler:innen ab:

The question of whether decentralized or centralized systems will win the next era of the internet reduces to who will build the most compelling products, which in turn reduces to who will get more high quality developers and entrepreneurs on their side. GAFA has many advantages, including cash reserves, large user bases, and operational infrastructure. Cryptonetworks have a significantly more attractive value proposition to developers and entrepreneurs. If they can win their hearts and minds, they can mobilize far more resources than GAFA, and rapidly outpace their product development.

Zwar gibt es auch Tendenzen, die auf eine stärkere Zentralisierung hinweisen – etwa Facebooks Bestreben, ein Metaverse zu bauen – allerdings ist hier die tatsächliche Ausgestaltung noch offen – genauso wie der Erfolg.

Während Facebook dazu viel Kapital einsetzt, wäre es nicht das erste Mal in der Technologiegeschichte, dass ein Legacy-Unternehmen versucht, einen plattentektonischen Shift mit alten Denkweisen zu kapitalisieren und daran scheitert.

Der Wettbewerb der Frontends beginnt

dApps und DeFi beweisen bereits heute zudem, dass “ökosystemische” bzw. Netzwerkeffekt-Wertschöpfung in offenen Web3-Systemen durchaus möglich ist. Mit programmierbaren Blockchains können “Computer” commitments eingehen, sie bieten somit die Grundlage für Drittparteien, auf ihnen Produkte und Services zu entwickeln. Ganz wie es in der geschlossenen Phase (3) des Web 2.0 durch App Stores geschehen ist – nur dass hier die Backend-Struktur für alle offen und transparent ist.

Ganz neue Monetarisierungsformen von Communitys und Followern sind möglich, teilweise auch genau aufgrund der Interoperabilität zwischen den Anbietern. Ein weiteres Beispiel aus dem Gaming-Bereich ist Axie Infinity, das im August 2 Millionen DAU hatte – ohne in Googles oder Apples App-Store gelistet zu sein, die typischerweise einen solchen Marktzugang ermöglichen.

Nachdem das Web3 aktuell noch stark durch sehr technische, wenig visualisierte User Interfaces auffällt, zeigen sich bereits erste Signale einer zweiten Phase, die ich Multiclient-Phase nenne.

Coinbase – mit seinen 68 Millionen verified users – baut einen eigenen NFT-Marktplatz (Frontend) und hat hier bereits 2 Millionen Nutzer:innen auf der Warteliste. Damit tritt Coinbase in Konkurrenz zum aktuellen de-facto Standard für den secondary marktet von NFTs: OpenSea. Auf diesen Marktplatz sind >300.000 aktive Trader:innen unterwegs, die ein Handelsvolumen (gross merchandise volume) von ~3 Mrd. USD monatlich erreichen. Was bedeutet dann erst ein Markteintritt von Coinbase (die im wohl mindestens auf die Ethereum und Tezos-Blockchain setzen)?

I’m bullish.

1 Natürlich wird es auch einen Backend- d.h. Public-Blockchain-Wettbewerb geben. Hier ist allerdings a) mit einer Winner-takes-it-all-Tendenz zu rechnen, bei der eine Chain dominiert und/oder b) von einer zunehmenden Interoperabilität unter den Blockchains auszugehen. Private Blockchains haben ebenfalls einen Platz, bedienen aber andere Use Cases.

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