Momente

Das Mädchen aus der Tram

Ich war in Berlin um einen Freund zu besuchen. Er wohnte im Prenzl’Berg, ist aber sonst eigentlich ganz cool. Ich fuhr in der Tram. An einer Station stieg ein Mädchen zu: ziemlich klein für ihr Alter, lässige Hip-Hop-Kleidung, ein hübsches Gesicht. Sie trug riesige Kopfhörer über ihren lockigen blonden Haaren.

Ich schaute einige Male zu ihr auf. Sie lächelte. Jedes Mal. Ob zufällig oder nicht, immer wenn ich sie anblickte, sah sie zurück. Dann stieg sie plötzlich aus.

Ich habe sie seitdem nicht vergessen. Diese Fremde, die mich kurz mit ihrer Freundlichkeit verblüffte. Vielen Menschen habe ich von dieser Begegnung erzählt. Sie enthielt so viel Besonderes, so viel Spannung. Jedes Mal wenn sich unsere Blicke trafen, sahen wir uns einige Sekunden in die Augen und begannen zu lächeln.

Obwohl ich mir meine Traumfrau nie zuvor vorgestellt hatte, wusste ich jedoch, dass sie es nicht war. Dennoch: dieser flüchtige Moment hatte eine ungeheure Magie. Eine Magie, wie man sie nur selten im Leben spürt. Und wenn, dann ist es auch schon zu spät. Und sie war fort.

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Rezension

Kampfzone

“Das Liebesbedürfnis ist tief beim Menschen, es senkt seine Wurzeln in ganz erstaunliche Tiefen, und die tausend kleinen Verästelungen dringen bis in den Stoff seines Herzens.”

Michel Houellebecq gilt als das neue “enfant terrible” der französischen Literatur. Heute habe ich seinen Erstlingsroman “Ausweitung der Kampfzone” gelesen. Darin schildert Houellebecq das Leben eiens Informatikers – man möchte an vielen Stellen eher sagen: motzt es heraus.

“Am Wochenende verkehre ich in der Regel mit niemandem. Ich bleibe zu Hause, räume ein wenig auf, kultiviere eine kleine Depression.”

Der Plot ist schnell erzählt: Der Arbeitgeber des Informatikers gewinnt das Landwirtschaftsministerium als neuen Kunden, für diesen Auftrag wird er zuständig. Zusammen mit seinem Arbeitskollegen unternimmt er Schulungsreisen an verschiedene Standorte des Ministeriums. Immer geht es um Alkohol, Sex und das, was Holden Caufield als “phonies” bezeichnet hätte.

“Etwas später, noch vor Mittag, bekomme ich einen Anruf von Catherine Lechardoy. Sie hat mir nichts Bestimmtes zu sagen. ‘Vielleicht sehen wir uns wieder einmal’, sagt sie; ich glaube kaum.”

Denn in in einem lakonisch-flapsigen Stil beschreibt Houellebecq die gescheiterte Existenz des Informatikers, der mit seinem allumfassenden Hass gegen Menschen in der perfekten Antiheld-Tradition zu eben jenem “Fänger im Roggen” steht, den Salinger fünfzig Jahre zuvor schuf.

Es war ebenfalls ein 26. Mai gewesen, am späten Nachmittag, als ich empfangen wurde. Der Koitus hatte im Wohnzimmer stattgefunden, auf einem unechten pakistanischen Teppich. Im Augenblick, als mein Vater meine Mutter von hinten nahm, hatte sie die unglückliche Idee, den Arm auszustrecken und seine Hoden zu streicheln, sodass es zur Ejakulation kam. Sie hatte Lust empfunden, aber keinen richtigen Orgasmus. Kurz darauf hatten sie kaltes Huhn gegessen. Das war jetzt zweiunddreißig Jahre her; damals gab es noch richtige Hühner.

Die Sätze in der “Kampfzone” sind kurz. Houllebecq benutzt diesen Stil gezielt, um dem Leser die Haltung des Protagonisten, zugleich auch Antagonist, einzubläuen. Ebenso kurze, in sich abgeschlossene Kapitel brechen komplizierte philosophische Fragestellungen auf knappe Worte herab. Man bemerkt: Hier geht es um Grunde um einen einsamen, doch sensiblen Denker, der nichts sehnlicher möchte, als Liebe. Ja, Liebe, denn das ist das Thema des Buches. Zwischengeschlechtliche Liebe, Selbstliebe, Liebe allen Menschen gegenüber. Das ist, womit der Protagonist nicht umgehen kann.

“Setzen wir einen Schimpansen in einen zu kleinen Käfig mit Balken aus Beton. Das Tier wird zweifellos zu toben beginnen, sich die Haare ausreißen, sich fürchterliche Bisse zufügen und in 73% der Fälle wird es sich schlussendlich töten. Brechen wir nun eine Öffnung in eine der Wände, die wir vor einen Abgrund stellen. Unser sympatischer Vierhänder wird an der Rand herankommen, wird hinunterschauen und lange dort stehen bleiben, wird mehrmals zurückkehren, aber in aller Regel nicht hinabstürzen; und seine Erregung wird sich in jedem Fall radikal mildern.”

Dem Autor ist ein Werk gelungen, mit dem sich vermutlich viele Vertreter unserer Zeit identifizieren können. Houellebecq ist durchschauend. Seinem miesepetrigen Charakter entgeht nicht die kleinste Schwäche oder Unsicherheit seines Gegenüber. Neben der offensichtlichen Melancholie verpasst Houellebecq es jedoch auch nicht, die Seiten mit subtilem Humor zu würzen. Er macht sich über seine Leser lustig, so wie Thomas Bernhard es einst tat.

Und genau aus diesem Grund mochte ich seinen Roman sehr leiden. Auch obwohl man an nicht allzu wenigen Stellen das Buch beiseite legen möchte um eine Pause von dieser melancholischen Welt zu bekommen. Doch dann liest man dennoch weiter.

“Von Zeit zu Zeit bleibe ich am Straßenrand stehen, rauche eine Zigarette, weine ein bisschen und fahre weiter.”

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Schöne Sätze

Besitz

“Der erste, der ein Stück Land mit einem Zaun umgab und auf den Gedanken kam zu sagen »Dies gehört mir« und der Leute fand, die einfältig genug waren, ihm zu glauben, war der eigentliche Begründer der bürgerlichen Gesellschaft. Wie viele Verbrechen, Kriege, Morde, wieviel Elend und Schrecken wäre dem Menschengeschlecht erspart geblieben, wenn jemand die Pfähle ausgerissen und seinen Mitmenschen zugerufen hätte: »Hütet euch, dem Betrüger Glauben zu schenken; ihr seid verloren, wenn ihr vergesst, dass zwar die Früchte allen, aber die Erde niemandem gehört«.”

__Jean-Jacques Rosseau

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Anruf bei Timo

Wenn Alice einen Anruf tätigt…

Gespräch mit einer Verkaufsberaterin von Alice am Telefon.

“Hallo, Alice hier. Wir möchten Ihnen gerne die SmartDisk vorstellen, damit Sie Ihre Daten sichern können.”
“Das mache ich schon mit Dropbox.”
“Wir sind aber günstiger.”
“Ah, ok, na, dann erzählen Sie.”
Blabla. Sie redet, ich sage nur “Ja” und nicke, doch als mir allerdings wieder einfällt, dass es ein Telefonat ist, höre ich auf zu nicken.
Dann: “Ja, schicken Sie mir dazu eine Mail mit mehr Infos zu.”
“Gut. Dann zeichne ich unser Gespräch ab jetzt auf, wenn das OK ist.”
“Ja, gern, wenn es nötig ist.”
“So, Herr Heuer, ich beantrage jetzt für Sie eine SmartDisk für 3,90 im Monat und…”
“Moment, so nicht, ich habe zugestimmt eine Mail mit weiteren Informationen zu bekommen, mehr nicht.”
Sinngemäß: “Aber es ist doch so günstig…”
“Mag sein, aber ich muss mich nicht von Ihnen verarschen lassen.”
“Oh, das tut mir leid. Dann war’s das auch schon, ist noch etwas unklar oder haben Sie Fragen?”
“Es ist einfach alles unklar.”
“Gut, dann….”
“Ja, dann tschüss.”

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Rezension

Rimbaud

Elle est retrouvée,
Quoi? — L’Éternité.
C’est la mer allée
Avec le soleil.

Arthur Rimbaud, das “Enfant Terrible” nicht nur der französischen Literatur, sondern der Lyrik an sich. Mich beeindruckt Rimbaud schon seit einiger Zeit, vermutlich genau ab dem Moment, da ich zum ersten Mal sein Leben und Schreiben wahr nahm: der minderjährige, der Gedichte verfasste, sein Leben selbst in die Hand nehmen wollte, auf Einladung eines anderen Dichters nach Paris ging. Ich schaute später den Film “Total Eclipse”, der Rimbauds Beziehung zu dem viele Jahre älteren Dichter Paul Verlaine beschreibt. Rimbaud, gespielt von Leonardo DiCaprio; Verlaine gespielt vom genialen David Thewlis. Arthur Rimbaud hat seine kreative Schaffensphase in der frühen Jugend, später soll in ihm nicht mehr diese Leichtigkeit vorhanden sein, die ihn in den wenigen Jahren seiner Karriere Weltliteratur erschaffen ließ.

In unserer heutigen Zeit ist Rimbaud nicht nur durch sein ikonisches Bild zum Rebell geworden. Ein früher James Dean. Seine Werke inspirieren und verzaubern Künstler jeder Generation: den sehr geschätzten Allen Ginsberg, Beat-Idol Jack Kerouac und Musiker Bob Dylan.

Oft blättere ich in dem hellblauen Buch des jungen Dichters, auf dem in roten Lettern “Sämtliche Dichtungen. Zweisprachige Ausgabe” steht. Ein Glas Wein auf dem Tisch, das Buch in der Hand, Musik im Hintergrund. Was beeindruckt mich? Sätze wie die zu Anfang oder am Ende? Das Bild des jungen Künstlers als Ausbrecher? Das ausschweifende Künstlerleben, das er während seiner Zeit in Paris mit Verlain führte? Das jähe Ende deiner kreativen Zeit, das ihn veranlasste, nie wieder ein Gedicht zu schreiben? Der Mensch? Vermutlich alles.

Je ne parlerai pas, je ne penserai rien:
Mais l`amour infini me montera dans l`âme,
Et j`irai loin, bien loin, comme un bohémien,
Par la Nature, – heureux comme avec une femme.

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