“Das Liebesbedürfnis ist tief beim Menschen, es senkt seine Wurzeln in ganz erstaunliche Tiefen, und die tausend kleinen Verästelungen dringen bis in den Stoff seines Herzens.”
Michel Houellebecq gilt als das neue “enfant terrible” der französischen Literatur. Heute habe ich seinen Erstlingsroman “Ausweitung der Kampfzone” gelesen. Darin schildert Houellebecq das Leben eiens Informatikers – man möchte an vielen Stellen eher sagen: motzt es heraus.
“Am Wochenende verkehre ich in der Regel mit niemandem. Ich bleibe zu Hause, räume ein wenig auf, kultiviere eine kleine Depression.”
Der Plot ist schnell erzählt: Der Arbeitgeber des Informatikers gewinnt das Landwirtschaftsministerium als neuen Kunden, für diesen Auftrag wird er zuständig. Zusammen mit seinem Arbeitskollegen unternimmt er Schulungsreisen an verschiedene Standorte des Ministeriums. Immer geht es um Alkohol, Sex und das, was Holden Caufield als “phonies” bezeichnet hätte.
“Etwas später, noch vor Mittag, bekomme ich einen Anruf von Catherine Lechardoy. Sie hat mir nichts Bestimmtes zu sagen. ‘Vielleicht sehen wir uns wieder einmal’, sagt sie; ich glaube kaum.”
Denn in in einem lakonisch-flapsigen Stil beschreibt Houellebecq die gescheiterte Existenz des Informatikers, der mit seinem allumfassenden Hass gegen Menschen in der perfekten Antiheld-Tradition zu eben jenem “Fänger im Roggen” steht, den Salinger fünfzig Jahre zuvor schuf.
Es war ebenfalls ein 26. Mai gewesen, am späten Nachmittag, als ich empfangen wurde. Der Koitus hatte im Wohnzimmer stattgefunden, auf einem unechten pakistanischen Teppich. Im Augenblick, als mein Vater meine Mutter von hinten nahm, hatte sie die unglückliche Idee, den Arm auszustrecken und seine Hoden zu streicheln, sodass es zur Ejakulation kam. Sie hatte Lust empfunden, aber keinen richtigen Orgasmus. Kurz darauf hatten sie kaltes Huhn gegessen. Das war jetzt zweiunddreißig Jahre her; damals gab es noch richtige Hühner.
Die Sätze in der “Kampfzone” sind kurz. Houllebecq benutzt diesen Stil gezielt, um dem Leser die Haltung des Protagonisten, zugleich auch Antagonist, einzubläuen. Ebenso kurze, in sich abgeschlossene Kapitel brechen komplizierte philosophische Fragestellungen auf knappe Worte herab. Man bemerkt: Hier geht es um Grunde um einen einsamen, doch sensiblen Denker, der nichts sehnlicher möchte, als Liebe. Ja, Liebe, denn das ist das Thema des Buches. Zwischengeschlechtliche Liebe, Selbstliebe, Liebe allen Menschen gegenüber. Das ist, womit der Protagonist nicht umgehen kann.
“Setzen wir einen Schimpansen in einen zu kleinen Käfig mit Balken aus Beton. Das Tier wird zweifellos zu toben beginnen, sich die Haare ausreißen, sich fürchterliche Bisse zufügen und in 73% der Fälle wird es sich schlussendlich töten. Brechen wir nun eine Öffnung in eine der Wände, die wir vor einen Abgrund stellen. Unser sympatischer Vierhänder wird an der Rand herankommen, wird hinunterschauen und lange dort stehen bleiben, wird mehrmals zurückkehren, aber in aller Regel nicht hinabstürzen; und seine Erregung wird sich in jedem Fall radikal mildern.”
Dem Autor ist ein Werk gelungen, mit dem sich vermutlich viele Vertreter unserer Zeit identifizieren können. Houellebecq ist durchschauend. Seinem miesepetrigen Charakter entgeht nicht die kleinste Schwäche oder Unsicherheit seines Gegenüber. Neben der offensichtlichen Melancholie verpasst Houellebecq es jedoch auch nicht, die Seiten mit subtilem Humor zu würzen. Er macht sich über seine Leser lustig, so wie Thomas Bernhard es einst tat.
Und genau aus diesem Grund mochte ich seinen Roman sehr leiden. Auch obwohl man an nicht allzu wenigen Stellen das Buch beiseite legen möchte um eine Pause von dieser melancholischen Welt zu bekommen. Doch dann liest man dennoch weiter.
“Von Zeit zu Zeit bleibe ich am Straßenrand stehen, rauche eine Zigarette, weine ein bisschen und fahre weiter.”