Empörung

Vor zehn Jahren; und heute

Heute vor zehn Jahren war ich bei meinem damals besten Freund. Gerade erst zehn Jahre alt geworden, Grundschüler, interessierte mich für Disney und Tolkien. Wir saßen am Computer seiner Familie, Computer waren erst jüngst in unser kindliches Leben getreten und für uns noch ziemliches Neuland. Er stand im Wohnzimmer; ich erinnere mich an die Piepsgeräusche eines 56k-Modems, das sich verbindet.

Seine Schwester saß im selben Zimmer. Sie hatte den Fernseher an. Während sie die flackernden Bilder betrachtete, bemerkte sie trocken: “Gerade ist ein Flugzeug in ein Haus geflogen.” Ich weiß noch, dass es mich nicht sonderlich interessierte, ob irgendwo – für ein Kind so unendlich weit weg – ein Flugzeug abgestürzt war. Irgendwann gingen wir trotzdem zu ihr aufs Sofa. Schließlich begriffen wir die Ausmaße. Doch nicht die Auswirkungen.

Die Auswirkungen sollten wir erst in den Jahren danach spüren. Nicht wir, mein Freund und ich, sondern wir, wir alle. Kriege wurden durch diesen Akt gesellschaftlich legitimiert, Freiheits- und Bürgerrechte beschnitten.

Ich komme um den Gedanken nicht herum, dass damit der Terrorismus erreicht hat, was er wollte. Für unser Leben viel tragischer als die erste Welle, der Anschlag als solcher,  ist beim Terrorismus ja die zweite: Politiker, die sofort die Einschränkung sämtlicher Rechte einfordern – und dank kollektivem Nicken der traumatisierten Gesellschaft diese bekommen.

Doch das macht die Politiker nur zu Handlanger des Terrorismus. Gerade in solchen Zeiten hätten die Regierenden ihre Entschlossenheit zeigen müssen, dass wir uns als Gesellschaft in unserer Freiheit nicht beschneiden lassen werden – möge die Versuchung auch noch so groß sein. Gerade hier hätte man fester zusammenstehen müssen und statt ihn langsam aufzuweichen, einen festen Boden, ein Fundament, unter unserer Freiheit demonstrieren sollen. Tat man nicht.

Zehn Jahre danach kann man eigentlich nur sagen: der Terrorismus hat gewonnen. Doch nicht, wie wir alle vermuteten, durch weitere, verheerendere Anschläge gegeben, sondern weil sich die Angst vor ihm in unsere Köpfe gefressen hat. Dort hat sie sich mit der Urangst vor dem “Fremden” gepaart, nur um an Ende Drillige zu gebären: Misstrauen, Ablehnung und Angst jr. Eine Angst, die reale Ängste, wie etwa die vor einem Autounfall oder vor Krebs, in den Hintergrund drängt. Manchmal glaube ich, wir Menschen wollen uns abstrakte Angstgeflechte aufbauen, um die realen, die uns tagtäglich begegnen, nicht wahrhaben oder besser verarbeiten zu können.

Was hat der 11. September aus uns gemacht? An Bahnhöfen werden vergessene Koffer mit Kleidung gesprengt. Natürlich, nachdem dieser geräumt wurde und der Zugverkehr in der Region für Stunden stillsteht. Terroristen brauchen heutzutage gar keine Bomben mehr.

Angehörige des Islams werden als potentielle Attentäter, die uns nach dem Leben trachten, unter Generalverdacht gestellt. So ein Verhalten kennt man doch in der deutschen Vergangenheit. Natürlich, Vergangenheit wird sich nie wiederholen, auch wenn es oft genug prophezeit wird. Doch wir sollten einige Anzeichen erkennen.

Wir sollten an dieser Stelle innehalten und uns fragen: wer hat gewonnen? Wir? Oder die Terroristen? Und wer hätte eigentlich gewinnen sollen?

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