Für 18 Euro kommt man mit dem Fernbus schon nach Amsterdam – und wieder zurück. Der niederländische Grenzübergang ist unspektakulär. Es ändert sich wenig. Wir fahren erst direkt an der Nordsee entlang, dann an unwirklich langen Reihen aus Gewächshäusern. Zur Szenerie stoßen bloß Kanäle, Bäche und Seen. Und natürlich Brücken. Nein: Vor allem Brücken. Und alle können hochgeklappt werden.
Das Meininger, mein Hostel für die nächsten Tage, ist direkt an der zentralen Station Sloterdijk. Ich checke ein und gehe aufs Zimmer. Alle Betten bis auf eines sind schon bezogen. Auf dem Nachttisch neben einem liegt ein bereits gerollter Joint.
Es ist Nachmittag. Das Wetter scheint besser zu werden und so beschließe ich, zu Fuß zum Westerpark zu gehen, der nach einem Blick auf Google Maps gut zu Fuß erreichbar sein soll. Der Westerpark ist kein typischer Stadtpark. Stattdessen ist er wild, fast wie die Feldmark am Dorf, in dem ich aufwuchs, und bietet besondere Wege für Läufer und Sportgeräte. Seen. Holz. Urbane Gärten.
Ich komme zur Westergasfabriek, dem kulturellen Zentrum des Westerparks. Hier findet gerade ein Streetfood-Festival statt mit hübschen Foodtrucks und mal mehr, mal weniger guter Livemusik. Ich trinke einige Biere und esse einen Seaweed-Burger.
Auch die Bar Westergasterrass befindet sich im Westerpark. Der Barkeeper empfiehlt lokales Craft Beer. Die Sonne empfiehlt, sich an den Steg am künstlichen Gewässer direkt an der Westergasterrass zu setzen.
Es ist der zweite Tag. Mein heutiger Plan: Grachten. Bus 48 bringt mich von Sloterdijk aus dorthin. Seine Endhaltestelle: Borneo Eiland. Es reizt mich ein bisschen, sitzen zu bleiben und über den Ozean zu schippern.
Der bekannte Dam-Platz ist überraschend unspektakulär. Was mir gefällt: Überall gibt es kleine Kunstmärkte, auch am Rembrandtplein. Einige Werke sind sogar nicht schlecht. Amsterdam ist eine kunstbezogene Stadt und zieht Künstler und Kunstliebhaber aus aller Welt an.
Dann, Grachten. Die Gewalt, mit der Wasser in Amsterdam das Leben beeinfluss, ist beeindruckend. Die Prinsengracht ist besonders schön. An einem Abschnitt reihen sich Kunstgalerien aneinander.
Zu Amsterdam gehört aber – wie man weiß – auch: Nichtsahnend an einer Häuserwand stehen, während es hinter dir klopft und eine Prostituierte dich ansieht. Nackt. Hinter einer Fensterscheibe. Ich informiere mich im Internet etwas über das Amsterdamer Rotlichtviertel. »The usual transaction includes a ‘fuck and suck’ for 50 Euros, which could last anywhere from 5 to 20 minutes.«
Im Proeflokaal Arendsnest gibt es eine große Auswahl niederländischer Craft Beers. Ich trinke zuerst einen Barleywine und dann ein Smoked IPA. Außerdem probiere ich einen Genever, den niederländischen Vorgänger des britischen Gin.
Der dritte Tag ist Museumstag, das Wetter hat so entschieden. Es ist regnerisch.
Ich besuche zuerst das Rijksmuseum. Hauptstück des Museums, das viele Gemälde und Skulpturen bekannter niederländischer Maler enthält, ist Rembrandts Nachtwache, das prominent einen eigenen Raum erhalten hat. Das Bild wird von einem Security-Guard zu jeder Seite eingerahmt. Für mich ist es aber gar nicht das spannendste Werk der Sammlung, ich finde die Werke von Constant besonders, die in der Abteilung für Kunst nach 1950 hängen.
Anschließend gehe ich ins Stedelijk Museum, das sich auf Moderne und Zeitgenössische Kunst spezialisiert hat. Die Henri-Mattise-Ausstellung ist sehr gut gemacht, informativ und unterhaltend. Auch der Rest ist in Teilen ziemlich gut.
Enttäuscht bin ich allerdings vom Van Gogh Museum, das ebenfalls Pflichtprogramm ist. Nicht nur die langen Schlangen, die verwirrenden Gänge und die vollkommene Ausschlachtung des Malers für kommerzielle Zwecke gefallen mir nicht, sondern auch, dass viele meiner Lieblings-Gemälde (Starry Night, Cafe Terrace at Night oder Starry Night Over the Rhone) nicht vertreten sind. Einzige Besonderheit: Patrick Stewart, der bekannte britische Schauspieler, bekommt gerade eine private Tour. Direkt neben mir.
Der letzte Tag. Nachdem ich kurz im bekannten Vondelpark war — für meinen Geschmack überbewertet und weniger spannend, als erwartet — gehe ich noch zur Scandinavian Embassy, einem Third-Wave-Café, das einmal bezeichnet wurde als einziges Café, das einen Michelin-Star verdient hätte.
Es liegt in der hippen, künstlerischen Gegend De Pijp. Kleine Läden an der Straße, keine Autos, hübsche Gebäude. Und der sechstägig geöffnete Albert-Cuyp-Markt mit Lebensmitteln und Gegenständen des Alltags.
Die Rückfahrt. Knapp hinter der deutschen Grenze winkt uns die Polizei raus. Zwei Polizeibeamte gehen durch die Reihen und kontrollieren Ausweise. Währenddessen schnüffelt draußen ein Spürhund an unseren Koffern. Beim Koffer eines älteren Mannes schlägt er an, dieser wird gebeten, aus dem Bus zu steigen und ungefähr eine halbe Stunde draußen am Polizeibulli verhört.
Dann gehen die Polizisten ein zweites Mal durch die Reihen. Einer von ihnen findet eine Tasche, die oben im Stauraum über zwei Plätzen ist, wo gerade niemand sitzt.
»Wem gehört diese Tasche?«
Keine Antwort.
»Ist das Ihre?«
Ein junger Mann: »Nein.«
Polizist öffnet die Tasche und zieht ein Papier hervor.
»G______? Wer ist das? Sind Sie das?«
Der junge Mann wieder: »Nein, nein!«
»Einmal den Ausweis bitte.«
Der junge Mann gibt dem Polizisten widerwillig seinen Ausweis.
»Herr G______, das sind doch Sie.«
»Ja schon, das ist aber nicht meine Tasche!«
»Und warum ist dann Ihr Studentenausweis innen in der Tasche? Einmal folgen, bitte.«
Nach ungefähr zehn Minuten kommen er und seine Reisebegleitung zurück in den Bus. Auch der alte Mann ist zurück. Schokolade, die er für seinen Enkel kaufte, war der Auslöser.
Mit 40-minütiger Verspätung machen wir uns auf die Rückreise nach Hamburg.